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Ist telemedizinische Beratung die Zukunft? Neue Studie beleuchtet Wahrnehmungen von Ärzt:innen und Patient:innen

Querschnittsstudie

Videosprechstunden mit Ärzt:innen können lange Wege und Wartezeiten vermeiden und eine sichere medizinische Versorgung in ländlichen Regionen ermöglichen. Hat die durch die Corona-Krise den Durchbruch geschafft und werden virtuelle Arztbesuche nun Teil der Regelversorgung?

Während der Covid-19-Pandemie stieg die Nachfrage nach telemedizinischer Beratung weltweit sprunghaft an [1]. Die Pandemie hat gezeigt, dass eine effektive Alternative zur Gesundheitsversorgung vor Ort sein kann. Um telemedizinische Behandlungen langfristig in die Praxis zu integrieren, ist es von entscheidender Bedeutung, ein umfassendes Verständnis aus der Perspektive der Nutzer:innen zu erlangen. Insbesondere während der Corona-Pandemie wurden wertvolle Erfahrungen gesammelt, die uns Einblicke in die Wahrnehmungen von Ärzt:innen und Patient:innen ermöglichen. Eine kürzlich in den USA durchgeführte landesweite, repräsentative Studie von SteelFischer et al. (2023) liefert genau diese Einblicke [2]. In der Studie wurden über 300 Ärzte:innen und mehr als 1400 Patienten:innen befragt, um deren Wahrnehmung hinsichtlich der Qualität von Videosprechstunden im Vergleich zur persönlichen Behandlung zu erfassen. Die Ergebnisse der Studie leisten einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der erforderlichen Infrastruktur und Regulierung, unabhängig von den länderspezifischen Merkmalen des Gesundheitssystems.

Ärzt:innen zögern, während Patient:innen offen sind

Die Zufriedenheit mit den Videosprechstunden war bei den meisten Ärzt:innen und Patienten:innen im Allgemeinen hoch. Nahezu alle Ärzt:innen betrachteten Videosprechstunden als eine wichtige Möglichkeit, ihre Patient:innen während der Covid-19-Pandemie zu erreichen, und die Hälfte der Patient:innen gab an, dass sie ohne den Zugang zu Videosprechstunden ihre Termine verschoben oder abgesagt hätten. Dennoch bevorzugen die meisten Ärzt:innen in Zukunft eine persönliche Behandlung. Hierbei zeigte sich, dass die Ärzt:innen (80%) zurückhaltender waren als die Patient:innen (64%). Auch hinsichtlich der Versorgungsqualität hatten die befragten Patient:innen insgesamt eine positivere Wahrnehmung als die Ärzt:innen.

Ärzt:innen skeptisch gegenüber bei körperlichen Beschwerden

Weltweit fehlt es an digitalen Lösungen, um sämtliche medizinischen Untersuchungen aus der Ferne durchzuführen. In einer Befragung von Ärzt:innen in den USA wurde festgestellt, dass der Einsatz von zur Behandlung von Patient:innen mit körperlichen Beschwerden keinen Erfolg hatte. Etwa 90% der Ärzt:innen und Patient:innen äußerten Bedenken, dass die fehlende Möglichkeit einer körperlichen Untersuchung die Qualität der Diagnose beeinträchtigt. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, je nach Art der medizinischen Leistung differenziert zu betrachten. In einigen Bereichen, wie der Behandlung psychischer Probleme oder der von Covid-Symptomen, waren die Erfahrungen der Ärzt:innen und Patient:innen jedoch deutlich positiver. Die Videosprechstunde wurde als gleichwertig zur persönlichen Konsultation bewertet und konnte in diesen Bereichen bereits erfolgreich eingesetzt werden.

Probleme mit Videoqualität und Internetverbindung bremsen Ärzt:innen aus

Eine überraschende Erkenntnis der Studie ist, dass rund die Hälfte der Ärzt:innen während der Videobehandlung mit Problemen bezüglich der Video- und Tonqualität zu kämpfen hatte. Zusätzlich berichtete mehr als ein Drittel der Ärzt:innen von Schwierigkeiten mit der Internetverbindung oder fehlerhaften Videoplattformen und -programmen. Diese Faktoren wurden als einer der Hauptgründe identifiziert, warum Ärzt:innen zurückhaltend sind, Videosprechstunden in der Zukunft vermehrt einzusetzen. Dieses Ergebnis ist besonders interessant, da im Gegensatz zu fehlenden Technologien für körperliche Fernuntersuchungen die Überprüfung und Sicherstellung der technischen Infrastruktur bereits heute durch politische Maßnahmen angegangen werden könnte.

Fazit

Das deutsche Gesundheitswesen könnte von digitalen Technologien erheblich profitieren. Laut einer aktuellen McKinsey-Studie könnten allein durch Telekonsultationen jährlich 8,9 Milliarden Euro eingespart werden [3]. Obwohl die genannte Studie in den USA durchgeführt wurde, liefert sie wertvolle Einblicke in die Einstellungen verschiedener Nutzergruppen gegenüber telemedizinischen Lösungen, die auch für Deutschland relevant sind.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass für einen verstärkten Einsatz von im deutschen Gesundheitswesen der Fokus politischer Maßnahmen auf der Digitalisierungsbereitschaft der Gesundheitsberufe liegen sollte. Studienergebnisse aus Deutschland zeigen eine positive Einstellung von Ärzt:innen und Patient:innen gegenüber dem Einsatz von Videosprechstunden zur Behandlung bestimmter Erkrankungen wie beispielsweise rheumatischer Leiden [4]. Allerdings gibt es auch in Deutschland Hinweise darauf, dass Ärzt:innen zurückhaltender sind als Patient:innen, was den Wechsel zur Fernbehandlung betrifft [5]. Förderansätze sollten darauf abzielen, Vorbehalte bei den Gesundheitsberufen abzubauen, den potenziellen Nutzen der Technologie für verschiedene Zielgruppen aufzuzeigen und die notwendige technische Infrastruktur für Innovationen zu schaffen. Gezielte Maßnahmen in diesem Bereich könnten den Weg zu einer effizienteren und moderneren Gesundheitsversorgung ebnen.

 

Möchten Sie einen tieferen Einblick in die Welt der in Deutschland gewinnen?

Dann lesen Sie unbedingt unseren Bug des Monats mit Max Müller, CEO der Telemedizin-Plattform TeleClinic. Im Interview erklärt er, warum seiner Ansicht nach ein Ende der Deckelung nicht zu einer schlechteren Vor-Ort-Versorgung führt, wie die digitale Identität und das die vorbringen können – und warum der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt auch seiner Ansicht nach der Standard in der medizinischen Versorgung bleiben sollte.

Hier geht es zum Interview.


[1] OECD. The COVID-19 Pandemic and the Future of Telemedicine, OECD Health Policy Studies, OECD Publishing 2023; Paris. https://doi.org/10.1787/ac8b0a27-en.
[2] SteelFisher GK, McMurtry CL, et al. Video Telemedicine Experiences In COVID-19 Were Positive, But Physicians And Patients Prefer In-Person Care For The Future: Study examines patient and physician opinion of telemedicine experiences during COVID-19. Health Affairs 2023; 42(4): 575-584. https://doi.org/10.1377/hlthaff.2022.01027.
[3] McKinsey & Company (Hrsg.), Thomas Müller (Hrsg.), Pirkka Padmanabhan (Hrsg.), Laura Richter (Hrsg.), Tobias Silberzahn (Hrsg.). E-Health Monitor 2022: Deutschlands Weg in die digitale Gesundheitsversorgung – Status quo und Perspektiven. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. 2022; Auflage 1. Stuttgart. ISBN 978-3-95466-759-8.
[4] Vossen D, Knitza J, et al. Akzeptanz der Videosprechstunde unter Patienten/innen mit entzündlich rheumatischen Erkrankungen ist geschlechts-und ortsabhängig–Ergebnisse einer Online-Umfrage unter Patienten/innen und Ärzten/innen. Zeitschrift für Rheumatologie 2023; 82(2): 108-113. https://doi.org/10.1007/s00393-021-01052-w
[5] Harder JL, Linden P, et al. Überregionale telemedizinische Ergänzungsbehandlung für die ländliche Hausarztversorgung-eine Mixed-Methods-Analyse. Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen 2022; 169: 67-74. https://doi.org/10.1016/j.zefq.2021.12.008

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