Potenzial ungenutzt: Expertenmeinungen zur Optimierung des DiGA-Zugangs in Deutschland
Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) sind derzeit in Deutschland wenig verbreitet, da sie häufig die Patienten nicht erreichen. Eine aktuelle Expertenbefragung bietet Impulse für einen effektiven Zugang zu DiGAs.
Gesundheitsanwendungen dienen dazu, die Patientenversorgung zu verbessern, diagnostische und therapeutische Maßnahmen zu unterstützen sowie die Gesundheitsförderung und Prävention voranzutreiben [1]. Dabei werden in Deutschland nur jene digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) von den Krankenkassen finanziert, die das strenge Prüfverfahren des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erfolgreich durchlaufen haben [2]. Anfang 2022 waren lediglich 28 DiGAs im BfArM-Verzeichnis aufgeführt. Bis Ende 2023 hat sich diese Zahl nahezu verdoppelt, bleibt jedoch nach wie vor auf eine begrenzte Anzahl von 55 DiGAs beschränkt [3,4].
Die Entwicklung von DiGAs erfordert erhebliche Investitionen in Softwareentwicklung, rechtliche Compliance und Evaluationsverfahren [5]. Jedoch garantieren diese Aufwendungen nicht immer den Markterfolg [6]. Ein wesentliches Hindernis für die Verbreitung von DiGAs ist die Zurückhaltung vieler Ärzte, diese zu verschreiben. Zudem werden selbst bei erfolgter Verschreibung nicht alle DiGAs von den Patienten aktiviert oder dauerhaft genutzt [7]. Diese Situation macht den Markt wenig attraktiv für Investoren, was das Potenzial von DiGAs in der Patientenversorgung einschränkt und die Innovation hemmt.
Deutsche Expertenmeinung zur Optimierung von DiGAs
Eine kürzlich durchgeführte deutsche Studie von Dahlhausen et al. (2022) widmet sich der Frage, wie der Zugang zu und die Nutzung von DiGAs verbessert werden können. Hierzu wurden 19 Experteninterviews mit Entwicklern und Anbietern von DiGAs in Deutschland durchgeführt [7]. Sie bietet wichtige Impulse nicht nur für Entwickler digitaler Gesundheitsanwendungen in Deutschland, sondern auch für Entwickler in anderen Ländern, die von den Erfahrungen Deutschlands als Vorreiter im Bereich zertifizierter Gesundheitsanwendungen profitieren möchten.
Direkte und indirekte Einflussfaktoren auf den Patientenzugang
Die befragten Personen betonten, dass Leistungserbringer das größte Potenzial haben, den Zugang zu DiGAs zu fördern und die Bindung der Patienten zu stärken. Hierbei spielen Ärzte eine zentrale Rolle, sowohl aufgrund ihrer Funktion im Verschreibungsprozess als auch aufgrund des Vertrauens, das die Patienten ihnen entgegenbringen. Ärzte zögern, ihren Patienten den Zugang zu Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) zu empfehlen, hauptsächlich aufgrund von unzureichenden Informationen, bürokratischen Hürden, Zeitmangel, fehlender Motivation und fehlender finanzieller Anreize. Krankenversicherungen, Pharmaunternehmen, medizinische Fachverbände und diverse Organisationen beeinflussen die Bereitschaft der Ärzte, DiGAs zu verschreiben, und üben somit einen indirekten Einfluss auf den Patientenzugang zu DiGAs aus.
Zielgruppenorientierung ist wichtig
Die Rolle der Ärzte als Gatekeeper hängt von der spezifischen Indikation und dem daraus resultierenden Behandlungsweg ab. Bei seltenen und onkologischen Erkrankungen, für die eine stationäre Behandlung erforderlich ist, spielen Krankenhausärzte eine entscheidende Rolle beim erstmaligen Zugang zu DiGAs. Im Gegensatz dazu nehmen Ärzte, die in der telemedizinischen Betreuung tätig sind, bei Krankheitsbildern, die häufig mit sozialer Stigmatisierung verbunden sind – beispielsweise psychische Erkrankungen oder Adipositas –, eine zentrale Rolle ein. In solchen Fällen sind diese Ärzte entscheidend für die kontinuierliche Überwachung des Behandlungsverlaufs und die langfristige Einbindung der Patienten in die Nutzung von DiGAs.
Einige Strategien zur Optimierung des Zugangs zu DiGAs
Folgende Maßnahmen können zur Verbesserung des Zugangs zu DiGAs und zur Steigerung ihrer Nutzung beitragen:
- Förderung der Fachkompetenz: Förderung des Wissens und der Fähigkeiten von Gesundheitsfachkräften im Bereich digitaler Gesundheitsanwendungen.
- Stärkung der Patientenautonomie: Bereitstellung von Informationen für Patienten über DiGAs durch Partnerschaften mit Versicherungen, Apotheken und Pharmaunternehmen.
- Vereinfachung von Begleitprozessen: Sicherstellung der Benutzerfreundlichkeit für Patienten und Gesundheitsfachkräfte, inklusive Schulung und kontinuierlicher Unterstützung.
- Verbesserung der Patientenbindung: Entwicklung von personalisierten Inhalten, Gamification und Einbindung in den Versorgungspfad [7, 8].
Fazit
Gesundheitsfachkräfte, insbesondere Ärzte, tragen das größte Potenzial, um den Zugang zu DiGAs zu fördern und die Patientenbindung zu stärken. Trotz ihrer Schlüsselrolle zögern viele diese „Gatekeeper“ häufig, digitale Therapien zu unterstützen. Mögliche Maßnahmen zur Verbesserung des Zugangs zu DiGAs sind Förderung der Fachkompetenz, Stärkung der Patientenautonomie, Benutzerfreundlichkeit und Patientenbindung. Diese Maßnahmen können den Entwicklern digitaler Gesundheitsanwendungen dabei helfen, das Marktpotenzial ihrer Produkte besser auszuschöpfen.
Literatur
- Hemkens LG. Nutzenbewertung digitaler Gesundheitsanwendungen – Herausforderungen und Möglichkeiten. Bundesgesundheitsblatt 64, 1269–1277. 2021. DOI: 10.1007/s00103-021-03413-x
- Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Das Fast-Track-Verfahren für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) nach § 139e SGB. Leitfaden für Hersteller, Leistungserbringer und Anwender. 2023. Verfügbar unter: https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Medizinprodukte/diga_leitfaden.pdf?__blob=publicationFile (Zugriff am 10.10.2023).
- Techniker Krankenkasse (Hrsg). DiGA-Report 2022 – DiGA – Novum in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Stand: März 2022. Verfügbar unter: https://www.tk.de/resource/blob/2125136/dd3d3dbafcfaef0984dcf8576b1d7713/tk-diga-report-2022-data.pdf (Zugriff am 24.11.2023).
- Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). DiGA-Verzeichnis. Online: https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis (Zugriff am 24.11.2023)
- Siegler AJ, Knox J, Bauermeister JA, Golinkoff J, Hightow-Weidman L & Scot H. Mobile app development in health research: pitfalls and solutions. Mhealth. 2021: 7:32. DOI: 10.21037/mhealth-19-263.
- Zhang M, Cheow E, Ho CS, Ng BY, Ho R, Cheok & CCS. Application of Low-Cost Methodologies for Mobile Phone App Development. JMIR Mhealth Uhealth 2014; 2(4):e55. DOI: 10.2196/mhealth.3549
- Dahlhausen F, Zinner M, Bieske L, Ehlers JP, Boehme P & Fehring L. There’s an app for that, but nobody’s using it: Insights on improving patient access and adherence to digital therapeutics in Germany. Digital Health. 2022: 8. DOI: 10.1177/20552076221104672
- Düvel J, Gensorowsky D, Hasemann L & Greiner W. Lösungsansätze für den Zugang digitaler Gesundheitsanwendungen zur Gesetzlichen Krankenversicherung: eine qualitative Studie. Das Gesundheitswesen 84(1). 2021: S. 64-74. DOI: 0.1055/a13411085
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