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Wie die Digitalisierung den klassischen Apothekensektor verändert

Branchenüberblick Apothekensektor: Apotheken als Acceleratoren des digitalen Wandels?


Mit knapp 160 000 Beschäftigten zählt Deutschland im Jahr 2020 rund 18 750 öffentliche Apotheken; jede fünfte befindet sich in Nordrhein-Westfalen (1, 2). 2020 versorgten diese bundesweit jeden Tag über 3,3 Millionen Menschen. Der erzielte Jahresnettoumsatz belief sich auf 57 Milliarden Euro: 83 Prozent entfielen auf den Verkauf verschreibungspflichtiger (preisgebundener) Arzneimittel, 9 Prozent auf das (nicht preisgebundene) Ergänzungssortiment sowie 8 Prozent auf apothekenpflichtige Arzneimittel.

Mit unter 1 Prozent tragen freiverkäufliche Arzneimittel den geringsten Umsatzanteil bei (2). Bereits seit 2009 sinkt die absolute Zahl der öffentlichen Apotheken stetig, gleichzeitig nimmt die Filialisierung (Verdrängung Einzelner durch Filialeröffnung gleicher Inhaberschaft) stetig zu (1).

Darüber hinaus haben sich in den letzten Jahren verstärkt Online-Apotheken wie Doc Morris oder Shop-Apotheke mit Sitz im europäischen Ausland am Markt etabliert, die zunehmend apothekenpflichtige und Nichtarzneimittel bundesweit vertreiben (1, 3).

Öffentliche Apotheken – Ein Branchenüberblick

Digitalisierung als Wettbewerbsvorteil?

Branchenexperten schreiben öffentlichen Apotheken im Zuge der Digitalisierung künftig diverse Wettbewerbsvorteile zu. Die Patientenkommunikation ist hier zentral, und schon heute eröffnen telepharmazeutische Anwendungen wie Videochats die Tür für eine professionelle sowie zeit- und ortsunabhängige (virtuelle) Beratung. Gleichzeitig können Apotheken den Patienten auf diesem Weg Leistungen der Prävention sowie des Managements chronischer Krankheiten, besonders in versorgungsschwachen Regionen, zugänglich machen.

Speziell über Social-Media-Kanäle sowie können Apotheken direkt mit Patienten kommunizieren und die individuelle Versorgung durch die Reduktion von Zeit- und Personaleinsatz sowie nicht zuletzt Kosten verbessern. Das Schaffen digitaler Angebote zur Unterstützung des selbstbestimmten Wohnens älterer Menschen ist ein Beispiel, wie Apotheken ihr Produktportfolio erweitern können (4): Apotheken könnten zu Themen wie oder beraten.

Der Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit

Das Erschließen innovativer Vertriebswege und Märkte zur Umsatzsteigerung wird im Kontext anhaltender Digitalisierungsprozesse an Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit öffentlicher Apotheken gewinnen. Und auch die Zusammenarbeit zwischen Apotheken und Health Professionals mittels digitaler Anwendungen wird zukünftig intensiviert. Apotheken nehmen in diesem Zusammenhang verstärkt die Rolle des kompetenten Mittlers, etwa bei elektronischen Medikationsplänen, ein (5). Durch medizinische können beispielsweise arzneimittelbezogene Wechselwirkungen und Allergien erkannt und vermindert werden. Dies resultiert in einer optimierten Patientenversorgung (4).

Die Option des ortsungebundenen Angebots innovativer digitaler Dienstleistungen – von automatisierter Rezeptausgabe bis zu durchgängig erreichbaren Online-Shops mit App-getrackter Rezeptlieferung – stiftet Mehrwehrt sowohl für Patienten als auch Health Professionals. Zusätzlich lassen sich durch digitale Anwendungen wie eine vollautomatische Lagerlogistik und eine intelligente Bestellsoftware sowohl die apothekeninternen Prozesse als auch die Prozesse zwischen Apotheke und Pharmagroßhandel aus Zeit- und Kostensicht optimieren (6, 7).

als „Gamechanger“?

Das sogenannte elektronische Rezept (E-Rezept) stellt im Rahmen der digitalen Transformation das spannendste Vorhaben auf dem Apothekenmarkt dar.

Das im August 2019 in Kraft getretene „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV)“ eröffnet Ärzten die Möglichkeit, Rezepte zukünftig elektronisch auszustellen – sowohl in analogen als auch digitalen (Video-) Sprechstunden. Integrierte Softwareanwendungen sollen hierbei die unmittelbare Verfügbarkeit von Medikamenten anzeigen und bei der Verschreibung auf etwaige Wechselwirkungen hinweisen. Auf Patientenseite sollen elektronische Erinnerungen zur Medikamenteneinnahme und elektronische Medikationspläne die fördern.

Aktuell werden die technischen Details und Standards für das festgelegt (8). Ein wesentlicher Fokus liegt hierbei auf einer möglichst sicheren und flächendeckenden Telematikinfrastruktur, um digitale Rezeptinformationen system- und sektorenübergreifend sicher austauschen zu können (9).

Fazit

Die Digitalisierung sowie veränderte regulatorische Rahmenbedingungen und Kundenpräferenzen wirken sich zunehmend auf den Apothekensektor aus. Digitale Technologien können die Kommunikation zwischen Apothekern, Ärzten und Patienten intensivieren. Weiterhin versprechen sie effizientere Transport- und Warenwirtschaftsprozesse in der Zusammenarbeit von Apotheken und Pharmagroßhandel.

Über die bestehende flächendeckende Beratung und Arzneimittelversorgung hinaus wird sich vor allem das Angebot von neuen digitalen Produkten und Dienstleistungen erweitern, etwa bei ortsunabhängiger Krankheitsprävention oder -beratung.

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  1. Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e.V. (ABDA). Die Apotheke – Zahlen, Daten, Fakten 2021. zum Original
  2. Korf, C. DAV-Wirtschaftskonferenz 2021 2020 – In der Krise beweist sich der Charakter. 2021. zum Original
  3. Telgheder M. DocMorris und Shop Apotheke wollen vom in Deutschland profitieren. 2019. zum Original
  4. Fitte C, Teuteberg F. Ein Rezept für die Apotheke 2.0. Praxis der Wirtschaftsinformatik. 2019; 56(1): 223-40. zum Original
  5. Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e.V. (ABDA). Geschäftsbericht 2018/2019. 2019.
  6. Schröder H, Knobloch C, Ersöz S. Quick Service für Vor-Ort-Apotheken – Status quo und Entwicklungen innovativer Dienstleistungskonzepte. In: Bruhn M, Hadwich K, editors. Service Business Development: Strategien – Innovationen – GeschäftsmodelleBand 1. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden; 2018. 305-32. zum Original
  7. Endres M. Pharmalogistik: „Robi“ automatisiert Apotheke. 2019. zum Original
  8. Gesundheit Bf. Das kommt!. 2019. zum Original
  9. Tebroke E. Checkliste für Apotheker. 2019. zum Original

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