DiPA – eine DiGA mit Pflegefokus!?
Die derzeitige Anzahl von ungefähr 4,5 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland wächst zunehmend (1, 2). Bei gleichzeitigem Fachkräftemangel kommt es zu Herausforderungen in der Versorgung. Potenzial wird diesbezüglich digitalen Lösungen zugesprochen (3, 4). Für die Pflege werden die Chancen nun konkreter: In Anlehnung an das Digitale-Versorgung- und Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) im Juni 2021 ein Verfahren zu Prüfung der Erstattungsfähigkeit von digitalen Pflegeanwendungen (DiPA) beschlossen (5, 6). Unternehmen, die bereits in der Medizintechnik tätig sind, aber auch Start-Ups bietet sich hier womöglich ein neuer Markt. Wie steht es um die DiPA und warum lohnen sich Investitionen für Hersteller?
Erste DiPA-Anläufe
Seit Beginn des Jahres 2022 können DiPA beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zur Prüfung eingereicht werden. Konkret handelt es sich bei DiPA insbesondere um in der breiten Bevölkerung bereits etablierte Technologien wie Webanwendungen und Smartphone-Apps (5, 7). Mithilfe dieser sollen Zustand der Betroffenen und Kommunikation mit ihrem sozialen Umfeld und Pflegefachkräften verbessert werden (5). Einsatzbereiche sind beispielsweise kognitive Übungen bei Demenzerkrankung, wie sie die App Memorado anbietet (8), Sprachassistenten oder elektronische Medikamentenboxen, die durch einen Signalton an die Medikamenteneinnahme erinnern. Auf Seiten der Pflegenden – sowohl professionell als auch informell im Sinne von Angehörigen – stellen Apps zur Terminabstimmung oder Pflegedokumentation wie COREDINATE (9) ein Beispiel dar (5, 7, 10). Dies sind aktuell lediglich potenzielle DiPA.
Unterschiede zwischen DiPA und DiGA
Im Gegensatz zu Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA), die seit 2019 als Medizinprodukte durch das BfArM zertifiziert werden können, verfolgen DiPA nicht in erster Linie einen medizinischen Nutzen. Im Rahmen des pflegerischen Kontextes geht es vielmehr um die Stabilisierung des Gesamtzustandes und die Unterstützung einer möglichst hohen Lebensqualität (6, 7). Weiterhin sind sie nicht nur auf die Versicherten fokussiert, da sie durch die Verbesserung von Kommunikationsstrukturen auch informell und formell Pflegende einbeziehen. Demnach müssen DiPA nicht zwangsläufig als Medizinprodukt zertifiziert werden (5). Bei Antragstellung muss der pflegerische Nutzen – der Beitrag zur Verbesserung des Gesundheitszustandes der Pflegebedürftigen – direkt sichtbar sein. Eine Entscheidung über die Aufnahme in das DiPA-Verzeichnis durch das BfArM erfolgt innerhalb von drei Monaten. Die Preisverhandlung mit dem GKV-Spitzenverband kann weitere drei Monate dauern. DiPA gibt es nicht wie DiGA auf Rezept. Sind Pflegebedürftige mit Pflegegrad und ihre Angehörigen z. B. im Rahmen einer Pflegeberatung auf eine DiPA aufmerksam geworden, können sie die Nutzung bei der Pflegekasse beantragen. Die monatliche Erstattungssumme beträgt insgesamt maximal 50 Euro, was die Nutzung von COREDINATE z. B. ungefähr zur Hälfte decken würde (5, 9, 11). Private Krankenversicherungen (PKV) regeln die Erstattung tariflich und individuell (12).
Entwicklung lohnt sich
Die angestrebten Ziele von DiPA sind Vorteile und Anreize für deren Entwicklung: Durch die digitalen Helfer können einerseits Pflegende entlastet, andererseits kann die Selbstbestimmung Pflegebedürftiger gestärkt werden (3, 6, 13). Die Versorgung im häuslichen Umfeld, die sich über 80 Prozent der Deutschen wünschen, kann demnach beispielsweise durch die Integration von Pflege-Apps in den Alltag gewährleistet werden. Kostenträger sollten zudem die Chance sehen, stationäre Aufenthalte zu vermeiden, indem die Einsätze ambulanter Pflegedienste unterstützt werden. So können Hersteller zugleich den Interessen Betroffener und mehrerer Stakeholder gerecht werden (3), was das Marktpotenzial umso größer macht. Denn die Zielgruppe ist enorm und wächst stetig: Bis 2030 soll die Anzahl pflegebedürftiger Menschen in Deutschland um mehr als 30 Prozent auf rund 6 Millionen steigen (2). Die Kostenbeteiligung der Pflegekassen sollte schließlich dazu beitragen, dass das Nutzungsinteresse steigt und Betroffene, die eine App zuvor vollständig selbst zahlen mussten und deshalb nicht genutzt haben, nun zur Anwendung angesprochen sind.
Transparenz und Präzision sind gefragt
Auch wenn viele Anforderungen an DiPA denjenigen für DiGA ähneln, sollten Hersteller diese hinsichtlich der besonderen und vulnerablen Gruppe Pflegebedürftiger bei der Gestaltung nicht unterschätzen. In der Zielgruppe befinden sich viele ältere Menschen, weshalb Nutzungsfreundlichkeit und eine einfache Handhabung unabdingbar sind, wie z. B. beim Senioren Tablet von media4care (14). Des Weiteren ist eine hohe Qualität der pflegerischen Inhalte bedeutsam. Hierfür ist eine umfassende Auseinandersetzung mit den entsprechenden Rahmenbedingungen und Gesetzen im Pflegekontext erforderlich, damit frühzeitig Strategien für den weiteren Prozess entwickelt werden können (5). Die Anforderungen für die DiPA sind nicht endgültig formuliert, der Bereich stationäre Langzeitpflege ist beispielsweise noch nicht berücksichtigt, ebenso wie die Dauer der Nutzung und der Kostenbeteiligung durch die Pflegekassen (6). Transparenz und eindeutige Regelungen für die Entwicklung sind anzustreben, damit Hersteller einen Anreiz haben und ihre Produkte zielorientiert gestalten können. Eine Herausforderung für Hersteller kann nach Aufnahme in das digitale Pflegehilfsmittelverzeichnis ebenso das Marketing sein. Hier könnten Kooperationen mit Akteuren in der Pflegeberatung sinnvoll sein.
Fazit
Die Kostenbeteiligung der Pflegekassen bei der Nutzung von DiPA sowie die große und wachsende Zielgruppe Pflegebedürftiger bieten Herstellern Anreize zur Entwicklung von digitalen Produkten. Dennoch ist frühestens im Sommer 2022 mit den ersten zugelassenen DiPA zu rechnen (13). Transparenz und endgültige Regelungen sind demnach noch ausstehend. Hersteller können unter Partizipation von Zielgruppe und Fachexperten sowie Einbezug pflegerischer Inhalte eine möglichst präzise Gestaltung forcieren (3, 4). Bereits in der medizintechnischen Branche etablierte Unternehmen können bei der Entwicklung auf bereits entwickelte DiGA zurückreifen, beispielsweise können Indikationen von DiGA und DiPA kombiniert werden (5). Start-Ups können wiederum auf Grundlage der DiPA-Anforderungen ganz neue, spezifische Ansätze verfolgen. Durch den gesetzlichen Rahmen und die Qualitätssicherung durch das BfArM besteht schließlich eine realistische Chance, die Produkte in der pflegerischen Versorgung zu implementieren (10, 13).
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