Review-Artikel
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Apps navigieren durch den Pflegeantrag

Pflegeantrag

Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland steigt stetig an. Mehr Menschen werden immer älter und benötigen im voranschreitenden Lebensalter, z.B. aufgrund chronischer Erkrankungen, plötzlicher gesundheitlicher Einschränkungen sowie im Zuge von Alterungsprozessen, Unterstützung in Form von Pflegeleistungen. Auch die Umstellung auf einen gesetzlich weiter gefassten Pflegebedürftigkeitsbegriff und somit die Einführung von Pflegegraden in 2017 brachte nochmals einen deutlichen Anstieg (1). Aktuell sind rund 4,9 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig (2). Entsprechend viele Anträge auf Einstufung in Pflegegrade oder Leistungen der Pflegeversicherungen gehen regelmäßig bei Kostenträgern ein.

Anträge auf Leistungen der Pflegeversicherung bedürfen umfangreicher Auskünfte. Sie können als schwer verständlich und sogar belastend empfunden werden (3). Es entsteht eine Reihe an Unsicherheiten und Fragen bei Antragsstellenden. Diese werden klassischerweise u.a. durch Versicherungsangestellte bei den Kostenträgern begleitet und beantwortet (4). Bei einer hohen Zahl an Anträgen auf Pflegeleistungen kann somit ein hoher Workload allein bei sachspezifischen Auskünften durch Mitarbeitende der Krankenversicherungen entstehen. Digital unterstützte Prozesse können hier ein effizienter Ansatz sein. Wie kann die Beantragung von Pflegeleistungen durch digitale Prozesse für Kostenträger optimiert werden?

Menge an Formularen erschwert Beantragung von Pflegeleistungen

Die Zahl der sowie im Gesundheitswesen steigt stetig, seit 2020 insbesondere durch die Einführung des DiGA-Verzeichnisses (5). Bereits 2018 gaben 17 Prozent der Personen einer repräsentativen Befragung an, regelmäßig zu nutzen (6). Es existieren bereits App-Ansätze, die sowohl Pflegeplanung als auch -durchführung unterstützen sollen – die vorgelagerte Antragsstellung könnte hingegen ebenfalls elektronisch unterstützt werden. Klassischerweise erfolgt die Beantragung von Pflegeleistungen schriftlich anhand von Formularen, welche zwischen Kostenträgern unterschiedlich formuliert und ausgestaltet sein können (7). Antragssteller füllen diese eigenständig und meist ohne Vorkenntnisse aus, was zu falschen Angaben und somit Prozessverzögerungen führen kann. Während laut eines aktuellen App-Reviews bereits zahlreiche digitale Angebote zur Unterstützung in organisatorischen Belangen Pflegender existieren, adressieren nur wenige dieser bürokratische Themen. Vielmehr sind Dokumentation, Planung und Erinnerung zentral (8).

Im Zuge einer zielgenaueren digitalen Umsetzung kann der Pflegeantrag von Krankenversicherungen in eine eingebunden bzw. als solche angeboten werden. In dieser können Medien zum Einsatz kommen und darüber hinaus externe Links zu weiteren Informationen hinterlegt werden. Dies ermöglicht es Antragstellenden, schnell und gebündelt an sichere, adäquate Informationen zu kommen. Zeitgleich können Fragen möglicherweise bereits ohne Zutun von Kostenträgern, anhand ihres digitalen Angebots, geklärt werden. Die dauerhafte Nutzung eines solchen Angebots, auch über die einmalige Antragsstellung hinaus, sollte dabei berücksichtigt werden (9).

Erleichterter und transparenter digitaler Pflegeantrag

Ein Beispiel für eine zu Pflegeleistungen ist edith.care. Hier handelt es sich um ein Unternehmen mit einem App-Angebot kostenlos für Patienten, mit einer Integration von Kostenträgern und Leistungserbringern. Die kann z.B. eine bedarfsgerechte Vorauswahl der relevanten Leistungsangebote von Versicherungen bereitstellen. Ein intuitiver Chatbot hilft im Dialog, Anträge leicht verständlich zu bearbeiten. Zum Schluss kann der Antrag mit einer digitalen Unterschrift erfasst und direkt an die Versicherung übermittelt werden. Dadurch reduziert sich die Beantragungsdauer auf wenige Minuten anstatt wie bisher sechs bis neun Tage auf dem Papier- und Postweg. Versicherungen und Gutachter können anhand der elektronisch eingereichten Anträge sofort mit den übermittelten Daten tätig werden und von einer deutlichen Entlastung profitieren. Die Anwendung ermöglicht Kostenträgern einen neuen nutzerzentrierten Kundenservice. Gleichzeitig kann der Leistungsbereich potenziell deutlich entlastet werden (10, 11).

Der Verwaltungsaufwand wird gesenkt – durch die per eingehenden Anträge muss kein Papier eingescannt werden und weniger Briefe verschickt werden. Hilfestellung könnten beispielsweise in der als FAQs hinterlegt sein und es lassen sich weitere Medieninhalte integrieren (z.B. Videos oder Infografiken), die eine Antragstellung erleichtern können (10, 11). Durch die App-Unterstützung und enthaltene, einfach zugängliche Informationen werden Demokratisierung von Wissen und Transparenz von Anforderungen und Prozessen gefördert sowie Vernetzung und Kommunikation erleichtert (12). Darüber hinaus ließe sich das Antragsformular beispielsweise durch KI-Methoden effizient nutzen. Indem die enthaltenen, elektronisch strukturierten Informationen digital durchsucht würden, könnten bei Kostenträgern weitere Bearbeitungszeiten eingespart werden (13).

Zufriedenheit mit Prozess noch unklar

Laut einer Übersicht zu Pflege-Apps aus 2019 wurden nur sechs Prozent der in einer systematischen Suche gefundenen von Krankenversicherungen angeboten (6). Darüber hinaus hat bisher jeder Kostenträger sein eigenes Antragsformular (7). Ob dies individuell digitalisiert abgebildet wird oder in einem standardisierten Formular mündet, ist unklar.

Ob die Gestaltung des Services mit Angebot und Anwendung der weiterhin persönlich abläuft, oder ob dies über einen App-Helpdesk umgesetzt wird, wird zu klären sein. Prinzipiell sollten Fragen zur und den darüber übermittelten Dokumenten ebenfalls digital adressiert und geklärt werden. Die Sicherstellung der Handhabbarkeit und Barrierefreiheit ist besonders relevant, da sich Problematiken der Antragstellung sonst lediglich auf eine digitale Umsetzung verlagern. Ob es für Antragstellende wirklich einfacher funktioniert, Pflegeleistungen per zu beantragen, kann wie bei anderen digitalen Gesundheitsinnovationen pauschal nicht beantwortet werden (14).

Pflegeantrag mit bedeutet Lernen

Für Pflegebedürftige und deren Angehörige, welche in Deutschland zu rund 80 Prozent die Organisation der Pflege übernehmen, bedeutet die verständliche Hilfe und Entlastung in der Administration von Pflegeleistungen. Weiterhin muss jedoch die Möglichkeit bestehen, Anträge auf klassischem Wege einzureichen und Fragen wie gewohnt mit Sachbearbeitern persönlich klären zu können. Hierfür wird letztlich auch mehr Zeit bleiben, je häufiger zur Beantragung von Pflegeleistungen von ausreichend digital kompetenten Personen genutzt werden. Letzteres ist wiederum eine weitere Voraussetzung, die möglicherweise durch unterstützende Maßnahmen wie Manuals zur App-Nutzung zur technischen Umsetzung unterstützt werden sollte.

Fazit

Kostenträger können beim App-Einsatz einen nutzerzentrierten Kundenservice bieten sowie eine deutliche Entlastung und weitere Digitalisierung ihrer Leistungsbereiche erfahren. Dabei müssen versicherungsintern neue Verantwortungsbereiche geschaffen und nutzerfreundliche Angebote bereitgestellt werden.


  1. Destatis. Mehr Pflegebedürftige 2022. Zum Original
  2. Gesundheit Bf. Zahlen und Fakten zur Pflegeversicherung 2022. Zum Original
  3. BARMER. Pflegeantrag per 2020. Zum Original
  4. Gesundheit Bf. Pflegegrade 2022. Zum Original
  5. BfAu. Das 2022. Zum Original
  6. Garay S, Storch L, Teubner C. Deutschsprachige Pflege-Apps – wie das aktuelle Angebotsspektrum im Internet ist. In: Pflege Zfuid, editor. Pflege und digitale Technik2019. p. 36-43.
  7. Verbraucherzentrale. Pflegegrad beantragen – so geht’s 2022. Zum Original
  8. Bidenko K, Bohnet-Joschko S. Supporting family care: a scoping review. BMC Med Inform Decis Mak. 2022;22(1):162. Zum Original
  9. Anderson K, Burford O, Emmerton L. to Facilitate Self-Care: A Qualitative Study of User Experiences. PLoS One. 2016;11(5):e0156164. Zum Original
  10. edith.care. Ihre digitale Pflegeassistentin 2022.
  11. Burmeister L. Pflegeleistungen per beantragen mit edith.care 2020. Zum Original
  12. Hübner UH. Bedarf an Kernkompetenzen für digitale Technik in der professionellen Pflege. In: Pflege ZfQid, editor. Pflege und digitale Technik2019. p. 68-76.
  13. Fritz R. Plattformen als Katalysatoren der Digitalisierung und Innovation in der Krankenversicherung. In: Baas J, editor. Digitale Gesundheit in Europa2020. p. 14-26.
  14. Heidel A, Hagist C. Potential Benefits and Risks Resulting From the Introduction of Health and Into the German Statutory Health Care System: Scoping Review. JMIR Uhealth. 2020;8(9):e16444. Zum Original

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