Real World Data im Arzneimittelentwicklungsprozess
Die behördliche Zulassung eines Arzneimittels erfordert Nutzennachweise aus klinischen Studien (1). Hierunter versteht man die experimentelle Prüfung eines Medikaments unter definierten Rahmenbedingungen (2). Diese implizieren ein robustes Studiendesign, eine angemessene Datenerhebung und eine sorgfältige Datenanalyse. Randomisierte, kontrollierte Studien sind hierbei stellvertretend für den höchsten Evidenzgrad. Innerhalb dieses Studiendesign werden Daten von einer Interventions- und Kontrollgruppe prospektiv erhoben. Die Zuteilung erfolgt zufallsbasiert, um Störgrößen auszugleichen (2). Daten aus der realen Welt (sogenannte Real World Data, RWD), generiert außerhalb kontrollierter Studiendesigns, stellen Informationsquellen dar, die zunehmend an Relevanz im Kontext des Arzneimittelentwicklungsprozess gewinnen (3). Welche Arten von Real World Data gibt es und wie können diese Daten im Arzneimittelentwicklungsprozess einen Mehrwert liefern?
Real World Data
Randomisierte, kontrollierte Studien besitzen eine hohe interne Validität. Gleichzeitig ist die externe Validität der Ergebnisse eingeschränkt. Die Ergebnisse lassen sich beispielsweise nicht hinsichtlich unterschiedlicher Versorgungssettings generalisieren (4). Im Gegensatz hierzu werden in der klinischen Praxis routinemäßig Daten über die Verwendung von Medikamenten erhoben, die wertvolle Informationen über die Wirkung von Arzneimitteln in diversen Versorgungssettings liefern (4). Diese Daten entstehen somit außerhalb von randomisierten, klinischen Studien und werden oft als „Real-World-Data“ (RWD) bezeichnet. Der Nachteil dieser Daten ist wiederum, dass das unkontrollierte Studiendesign zu weniger robusten Ergebnissen führt, beispielsweise weil die interne Validität eingeschränkt ist (5).
Unterschiedliche Typen von RWD
RDW entsteht in unterschiedlichsten Kontexten (5). Einerseits werden Daten routinemäßig im Rahmen des Versorgungsprozesses gesammelt. Hierzu zählen elektronische Gesundheitsakten (Electronic Health Records, EHR), Produkt- und Krankheitsregister sowie Abrechnungsdaten (4, 5). Eine elektronische Patientenakte kann beispielsweise die Krankengeschichte eines Patienten inklusive Diagnosen, Behandlungspläne, Impfdaten, Allergien, radiologische Bilder sowie Labor- und Testergebnisse enthalten (5). Register hingegen sind organisierte Systeme, die klinische und andere Daten in einem standardisierten Format für eine durch eine bestimmte Krankheit, einen bestimmten Zustand oder eine bestimmte Belastung definierte Population sammeln (6). Andererseits kann RWD explizit, außerhalb der routinemäßigen Datenerhebung, gesammelt werden. Hierzu zählen beispielsweise Befragungen bestimmter Populationen hinsichtlich ihrer Gesundheit, Daten von Smartdevices oder Social Media Daten (4, 7, 8).
RWD als ergänzende Evidenz in Zulassungsverfahren
Betrachtet man die Limitationen von Daten innerhalb und außerhalb kontrollierter Studiendesigns ist zu erkennen, dass die Synthese dieser Datentypen zu einem umfassenderen Verständnis von Arzneimitteln und einhergehenden Effekten beitragen kann. Dieser Gedanke spiegelt sich mittlerweile auch verstärkt in der Regulatorik von Arzneimitteln wider. Exemplarisch berücksichtigt die FDA zunehmend Erkenntnisse, basierend auf RWD, als Teil des Evidenzpakets im Kontext von Arzneimittelzulassungen. Eine aktuelle Untersuchung von Purpura et al. (3) ergab beispielsweise, dass 116 FDA-Zulassungen zwischen Januar 2019 und Juni 2021 RWD berücksichtigten, beispielsweise als unterstützende Datengrundlage im Rahmen der Nutzen-Risiko-Bewertung einer Arzneimittels (3).
RWD zur Verbesserung klinischer Studien
Abgesehen von der Nutzung von RWD als ergänzende Evidenz in regulatorischen Prozessen, kann RWD auch zur Verbesserung der klinischen Studien selbst genutzt werden. Beispielsweise kann RWD (z. B. Daten aus der elektronischen Patientenakte) verwendet werden, um Kohorten mit einem ungedeckten medizinischem Bedarf und einer größeren Wahrscheinlichkeit, von neuen Therapien zu profitieren, zu identifizieren (9). Ähnliche Ansätze wurden auch bereits auf Grundlage von Social Media Daten vorgeschlagen (10). Diese Daten können helfen, die Einschluss-/Ausschlusskriterien für Studien zu verfeinern, um die Erfassung der Zielpatienten zu verbessern (9, 10).
RWD unterliegt unterschiedlichen Limitationen und Herausforderungen
Einerseits entstehen Probleme in der Datenqualität. Diese Probleme ergeben sich im Allgemeinen aus der Ad-hoc-Datenerhebung und aus dem Fehlen der Qualitätskontrolle, die sich normalerweise aus einem gut geplanten und kontrollierten Experiment ergeben würde (9). Sobald die Datenerhebung auf der Selbstauskunft von Patienten, beispielsweise im Kontext von Befragungen oder durch die Analyse von Daten aus sozialen Medien, beruht könnte die Verlässlichkeit der Daten zusätzlich eingeschränkt werden. Des Weiteren wird RWD nicht zwingend strukturiert erfasst, sondern liegen teilweise als Freitexte vor. Dies führt zu spezifischen methodischen Herausforderungen, beispielsweise dem Einsatz von Natural-Language-Processing, zur Strukturierung von Informationen in Freitexten (9, 10).
Fazit
RWD kann Erkenntnisse aus traditionellen Studiensetting komplementieren. Die Daten können genutzt werden, um Erkenntnisse aus klinischen Studien zu bestärken, z.B. im Kontext von Arzneimittelzulassungen oder sogar, um das Design klinischer Studien selbst zu verbessern, indem die Ein- und Ausschlusskriterien der Studienpopulation genauer beschrieben werden können. Aufgrund unterschiedlicher Limitation, die insbesondere in Bezug auf die Datenqualität bestehen, sollten die Erkenntnisse nicht isoliert betrachtet werden. RWD stellt somit keinen Ersatz für kontrollierte Studien dar, sondern eine ergänzende Perspektive auf eine bestimmte Fragestellung.
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