Mental Health Chatbots – der neue Psychotherapeut?
Immer mehr Menschen sind von psychischen Erkrankungen betroffen. Es wird geschätzt, dass etwa 29 Prozent aller Personen weltweit mindestens einmal im Laufe ihres Lebens eine psychische Beeinträchtigung erleben (1). Deutschlandweit sind jährlich rund 17,8 Millionen Menschen von einer psychischen Erkrankung betroffen. Lediglich 18,9 Prozent dieser Betroffenen gehen in den Kontakt mit Versorgern. Bei häufig vorherrschenden Angststörungen, Depressionen und affektiven Störungen hat dies in resultierenden Arbeitsunfähigkeiten oder sogar Frühverrentungen deutliche Auswirkungen auf die Gesundheits- und Volkswirtschaft. Allein die direkten Kosten, die dem deutschen Gesundheitswesen jährlich durch psychische Erkrankungen entstehen, liegen bei rund 44,4 Milliarden Euro – alle entstehenden jährlichen Kosten gemeinsam umfassen sogar rund 147 Milliarden Euro (2).
In jungen Lebensjahren (etwa zwischen 18 und 29 Jahren) werden am häufigsten psychiatrische und psychotherapeutische Leistungen in Anspruch genommen (3). Dort herrschen insbesondere depressive Symptomatiken vor (4). Ebenso wie in anderen Versorgungsbereichen ist besonders der Übergang zwischen einer stationären und einer ambulanten Behandlung schwierig für Patienten. Häufig kommt es an diesen Stellen zu Brüchen zwischen den Versorgungsformen oder langen Wartezeiten. Digitale Gesundheitsanwendungen, speziell Chatbots sind eine potenzielle Möglichkeit, Patienten und Versorger zu entlasten.
Wie können Chatbots die ambulante Versorgung psychischer Erkrankungen unterstützen?
Therapeutische Gespräche bei mentaler Beeinträchtigung
Psychotherapeutische Gespräche sind im Zuge der Behandlung mentaler Beeinträchtigungen ein unerlässliches Mittel. Bei etwa 2,4 Millionen Patienten, die im Quartal ambulant in psychotherapeutischen Praxen behandelt werden, ist der Bedarf hoch. Gleichzeitig bleibt die Zahl der niedergelassenen Psychotherapeuten mit aktuell etwa 50.600 in ebendiesen Praxen im Vergleich zum Bedarf gering (2).
Chatbots sind trotz ihres noch experimentellen Charakters die gängigste digitale Applikation im Bereich der mentalen Gesundheit. Etwa ein Viertel der 15.000 verfügbaren Gesundheits-Apps lassen sich unter die Kategorie Chatbot fassen. Sie können, basierend auf vorab festgelegten Entscheidungswegen bzw. Regeln oder aber unter Nutzung von Machine Learning, mit Patienten kommunizieren, indem sie ein herkömmliches Gespräch bzw. einen Gesprächspartner imitieren (1, 5, 6). Themen können, meist angelehnt an oder analog zur Verhaltenstherapie Informationen zur Erkrankung, Unterhaltungen zur Bewältigung alltäglich wiederkehrender Gedanken und Probleme, oder Ziele im Zuge der Behandlung psychischer Erkrankungen sein. Eingesetzt werden bisher jedoch stets Gesprächsbausteine mit fachlichem Hintergrund, der von Experten bereitgestellt wird. Ein völlig eigenständiges Gespräch kommt mit Chatbots aktuell nicht zustande – auch wenn Möglichkeiten hierzu bestünden, sollten Chatbots so weiterentwickelt werden, dass sie auf selbstlernenden Systemen basieren.
Chatbots bieten rund um die Uhr Austausch
Chatbots zeigen laut Studien z.B. einen positiven Einfluss auf die Linderung von Stress, Depression oder Höhenangst (1). Sie unterstützen beim Einhalten gesetzter therapeutischer Ziele, in der Aufrechterhaltung erlernter Gewohnheiten oder im kurzfristigen Austausch bei akutem Bedarf. Hiervon können Aspekte wie Zuverlässigkeit oder Selbstwirksamkeit positiv beeinflusst werden (1). Chatbots können über Apps oder Web-Anwendungen umgesetzt werden. Sie sind nicht an ein spezielles Medium gebunden und berücksichtigen somit potenziell mehr Nutzer (5). Beispiele für inzwischen bekannte Chatbots sind Woebot (7) oder Wysa (8). Mit ihnen werden verhaltenstherapeutische Ansätze umgesetzt. Dazu können Nutzer z.B. tägliche Check-Ins, Achtsamkeitsübungen oder das Führen eines Stimmungstagebuchs in Anspruch nehmen (5, 7, 8).
Durch ihren Einsatz können Chatbots den Einstieg in Psychotherapie bzw. den Zugang zu dieser erleichtern. Hilfreich ist dabei auch die häufig als niedrigschwellig, anonym und einfach empfundene Anwendbarkeit von Chatbots (1). Insbesondere junge Menschen können laut der Gründerin von Woebot von diesem Ansatz profitieren (9). Sie sind mit Technologie und Digitalisierung aufgewachsen und könnten sich vom klassischen Bild psychotherapeutischer Interventionen, insbesondere solcher, die in Kliniken stattfinden, zunächst eingeschüchtert fühlen (5, 9). Auch Personen, die wenig Zugang zur klassischen therapeutischen Versorgung haben, finden in Chatbots aktuell zumindest zeitweise eine Möglichkeit, ihre mentalen Probleme zu adressieren (5).
Digitale Kommunikation kann persönliches Gespräch nicht ersetzen
Trotz der Vorteile darf nicht zu viel Verlass auf digitale Lösungen gegeben werden als einen vermeintlichen Ausweg aus Engpässen therapeutischer Behandlung. Eine dauerhafte Anwendung von Chatbots und alleinige Konversationen mit einer KI können eine professionelle Psychotherapie nicht ersetzen (5). Darüber hinaus müssen die Limitationen des KI-Einsatzes ebenso beachtet werden, wie der Schutz persönlicher Daten und angemessene Qualitätskriterien (6).
Auch muss Nutzern klar sein, dass Chatbots keine realen Gesprächspartner sind. Zwar sind sie meist gut programmiert und ihre Antworten passend – es ist aber auch möglich, dass Fehler auftreten und die Reaktion des Chatbots unangemessen ist, im Zweifel sogar als gefährlich eingestuft werden könnte. Die Gesprächsqualität in der Chatbot-Kommunikation muss daher stets weiter verbessert werden (1).
Ergänzung der klassischen Verhaltenstherapie möglich
Zusammenfassend gibt es einige Funktionen von Chatbots, die sie wertvoll für die machen und ihre Nutzung von der klassischen Behandlung abgrenzen. Hierzu zählen insbesondere Echtzeit-Kommunikation, regelmäßiges Feedback und die Möglichkeit eines (Krankheits-)Tagebuchs (1). Würden diese kombiniert mit der fachlichen Expertise von Ärzten und Therapeuten, könnte die ambulante Versorgung profitieren. Hinzu käme potenziell die Möglichkeit, über den Chatbot gesammelte Daten, oder Meilensteine dieser, beispielsweise in der ePA verfügbar zu machen, um die Behandlung dauerhaft zu ergänzen (5). Trotzdem kann der Wunsch, mit einem Chatbot in Interaktion zu treten, zwischen Betroffenen stark variieren. Es ist wichtig, die Präferenzen und Bedarfe der Nutzer zu kennen, um sie in den Chatbot-Konversationen angemessen umzusetzen (1).
Fazit
Chatbots können eine geeignete Ergänzung ambulanter psychiatrischer bzw. psychotherapeutischer Versorgung sein. Da diese hohe Kosten verursachen, ist eine Nutzung insbesondere in der Überbrückung von Wartezeiten an Schnittstellen, zwischen therapeutischen Sitzungen oder zum Führen eines Therapietagebuchs denkbar. Gleichzeitig muss Anwendern bewusst sein, dass es sich um eine Möglichkeit der Ergänzung grundlegender Gesprächstechniken handeln kann, aktuell jedoch nicht um die Erbringung komplexer therapeutischer Leistungen.
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